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Presseinformation Nr. 06/2017 vom 09.02.2017

Verwaltungsgericht Osnabrück erlässt einstweilige Anordnung zur vorläufigen Inobhutnahme eines unbegleiteten und möglicherweise minderjährigen Flüchtlings


Die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Osnabrück hat mit Beschluss vom 8. Februar 2017 den Landkreis Emsland (Antragsgegner) im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, einen möglicherweise minderjährigen, unbegleiteten, afrikanischen Flüchtling (Antragsteller) vorläufig in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen. Mit diesem Beschluss hat das hiesige Gericht erstmals eine Entscheidung zur Auslegung der seit dem 1. November 2015 geltenden gesetzlichen Voraussetzungen der vorläufigen Inobhutnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge getroffen und sich der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs angeschlossen.

Hintergrund ist folgender: Für die vorläufige Inobhutnahme eines unbegleitet nach Deutschland einreisenden ausländischen Jugendlichen durch das zuständige Jugendamt ist dessen Minderjährigkeit erforderlich. Nach den Vorgaben des Sozialgesetzbuchs (SGB) - Achtes Buch (VIII) - hat das Jugendamt eine Altersfeststellung vorzunehmen. Diese erfolgt durch Einsichtnahme in Ausweispapiere oder mithilfe einer so genannten qualifizierten Inaugenscheinnahme, bei der es sich um eine besondere Form des Interviews handelt. In Zweifelsfällen hat das Jugendamt eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen.

Hier hatte das Jugendamt des Antragsgegners wegen Zweifeln an der Echtheit der vorgelegten Ausweispapiere eine qualifizierte Inaugenscheinnahme des Antragstellers durchgeführt, war danach zu dem Ergebnis gekommen, dieser sei volljährig und lehnte eine vorläufige Inobhutnahme ab. Dagegen wandte sich der Antragsteller mit der Begründung, die von ihm vorgelegten Dokumente belegten, dass er im September 2000 geboren sei und beantragte den Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Gericht.

Mit Erfolg, wie das Gericht gestern entschied. Zur Begründung führte es aus, die vom Antragsgegner durchgeführte Inaugenscheinnahme leide an einem Verfahrensmangel und stelle schon deshalb keine geeignete Grundlage für die Altersfeststellung dar. Es sei nicht erkennbar, dass der Antragsgegner dem Antragsteller in dem Verfahren die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit gegeben habe, eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen. Außerdem stelle eine Alterseinschätzung allein aufgrund bestimmter äußerlicher körperlicher Merkmale keine ausreichende Grundlage für die Annahme der Volljährigkeit dar. Eine qualifizierte Inaugenscheinnahme durch Mitarbeiter eines Jugendamtes sei nur dann zur Altersfeststellung geeignet, wenn auf der Hand liege, dass der Jugendliche volljährig sei. In allen anderen Fällen sei von einem Zweifelsfall auszugehen und deshalb eine ärztliche Untersuchung zu veranlassen. Da das Alter des Antragstellers nicht kurzfristig aufklärbar sei, habe das Jugendamt eine vorläufige Inobhutnahme anzuordnen, bis dessen tatsächliches Alter festgestellt sei.

Der Beschluss (Az. 4 B 1/17) ist noch nicht rechtskräftig und kann binnen zwei Wochen nach Zustellung mit der Beschwerde vor dem Nds. Oberverwaltungsgericht in Lüneburg angefochten werden.

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erstellt am:
09.02.2017

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